Verhandeln, Verwandeln, Verwirren: Interdependenzen von Ethnizität und Geschlecht

Verhandeln, Verwandeln, Verwirren: Interdependenzen von Ethnizität und Geschlecht

Organisatoren
DFG-Graduiertenkolleg "Identität und Differenz. Geschlechterkonstruktion und Interkulturalität"
Ort
Trier
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.11.2004 - 14.11.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Alexander Patrut, Schweich

Die Frage nach Vernetzungen und Analogien zwischen Konstruktionsprozessen von Geschlecht, Rasse und Nation stellt seit den 1990er Jahren einen zentralen Forschungsgegenstand sowohl der postcolonial als auch der gender studies dar. Die übergeordnete Fragestellung der internationalen Konferenz "Verhandeln, Verwandeln, Verwirren: Interdependenzen von Ethnizität und Geschlecht", die vom 12. bis 14. November 2004 vom DFG-Graduiertenkolleg Identität und Differenz. Geschlechterkonstruktion und Interkulturalität an der Universität Trier veranstaltet wurde, knüpfte an diese Forschungszusammenhänge an.

Grundlage dieser neueren Forschungen sind Texte einschlägiger TheoretikerInnen (u. a. Homi Bhaba, Stuart Hall, Edward Said, Gayatri Spivak), die neben einer kritischen und möglichst hierarchiefreien Darstellung kolonialer Diskurse fordern.

Die übergeordnete Fragestellung der international besetzten dreitägigen Veranstaltung galt vor diesem Hintergrund den Überschneidungen von Geschlecht und Ethnizität in verschiedenen wissenschaftlichen und künstlerischen Kontexten. Aus dem Trierer Graduiertenkolleg waren die Disziplinen Ethnologie, Germanistik, Geschichtswissenschaft, Japanologie, Kunstwissenschaft und Medienwissenschaft vertreten.

Der erste inhaltliche Block war dem alteritätstheoretisch erhellenden Blick auf koloniale und geschlechtlich codierte Repräsentationsformen der außereuropäischen ‚Neuen Welten' gewidmet. Der Untersuchungsbereich reichte hier von den Kolonialmissionen Ost-Afrikas über afrikanische Kolonialsoldaten im 1. Weltkrieg bis hin zu den kolonialen Bildchiffren der Mutter-Kind-Repräsentation in der Fotografie.

Maike Christadler, Kunsthistorikerin und Theoretikerin der Postcolonial Studies vom Historischen Seminar an der Universität Basel führte am Beispiel der Darstellungen von "Frauen mit Kindern" in die Welt der Bildchiffren im postkolonialen Diskurs ein. Der kenntnisreiche und engagierte Vortrag fokussierte auf die Inszenierung des außereuropäischen ‚Anderen' am Beispiel von Reiseberichten, Trachtenbüchern in ihrem wechselseitigen Bezug der Lokalisierung von ‚Eigenem' und ‚Anderem' und spannte den Bogen der Betrachtung von der Algonkin-Motivik des ausgehenden 16. Jahrhunderts bis hin zu den Völkerschau-Fotographien des 19. Jahrhunderts.

Der klar strukturierte Vortrag von Sandra Maß, Historikerin und Südosteuropa-Expertin von der Universität Bochum knüpfte an das Thema ihrer Disputation an der Universität Bielfeld an. Unter der Überschrift "Afrikanische Kolonialsoldaten auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges" beleuchtete die Referentin, die auf Erfahrungen am Europäischen Hochschulinstitut Florenz sowie in der Historischen Politikforschung an der Universität Bielefeld zurückgreifen kann, die koloniale Imagination von "weißen Helden" und "schwarzen Kriegern". Die Stereotypen der Darstellung reichten, so Maß, im Anschluss an den Ersten Weltkrieg aus deutscher Sicht vom barbarischen französischen Kolonialsoldaten bis hin zum treuen Gefolgsmann in Gestalt des Tirailleurs. Neben der Geschlechtercodierung in den Propagandatexten ging es in der anschließenden kontroversen Diskussion vor allem auch um die Möglichkeiten und Grenzen des diskursanalytischen Verfahrens.

Michael Weidert, Historiker und Politikwissenschaftler aus dem Trierer Graduiertenkolleg beendete die Sektion mit einem kulturwissenschaftlich vertieften Vortrag über "Neue Formen der Missionsgeschichtsschreibung" am Beispiel der Kolonialmissionen in Deutsch-Ostafrika. Neben der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Ethnizität, Kulturverständnis und Geschlecht ging es dem Referenten in dem mit anschaulichem Bildmaterial (u. a. die "Kathedrale im Urwald") unterstützten Vortrag vor allem um die vielfältigen Prozesse der Eigendefinition und Fremdzuschreibung von Missionarinnen und Missionaren im kolonialen Umfeld. An den prägnanten Vortrag schloss sich eine kurze Debatte um die notwendige Breite des Quellenmaterials der Missionsgeschichtsschreibung an.

Auf den ersten thematischen Block folgte die zweite, thematisch dichte und abwechslungsreiche Sektion zur Produktion von Alterität. Das verknüpfende Band zwischen den sich an Film und Populärkultur entlang arbeitenden Vorträgen bestand dabei in der Frage nach den Konstruktionsprozessen von ‚Weiblichkeit' und ‚Männlichkeit' vor dem Hintergrund ‚orientalischer' bzw. ‚US-amerikanischer' ethnischer Lokalisierung.

Eingeleitet wurde die Sektion durch den fundierten Vortrag "Die orientalische Frau aus der hellen Kammer" eines weiteren Mitglieds des Trierer Graduiertenkollegs, der Kunsthistorikerin und Theaterwissenschaftlerin Silke Förschler, Mitherausgeberin des 2004 in Marburg erschienenen Sammelbandes "Medien der Kunst". Förschler dokumentierte, theoretisch orientiert an Foucaults These von der produktiven Machtdimension, anhand von kolonialen Postkarten motivische Übernahmen und Inszenierungspraxen aus der Tradition der Malerei in das neue technische Bild der Postkarte um 1900, wobei es, wie sie plausibel darlegte, zu einer vielgestaltigen Neuverhandlung des Verhältnisses von Ethnizität und Geschlecht kam.

Filmtheoretische Akzente der Tagung setzte der Anglist und Medienwissenschaftler Bernd Elzer, ebenfalls von Trierer Graduiertenkolleg, der in seiner Untersuchung von George Stevens Filmepos "Giant" aus dem Jahr 1956 "Männlichkeiten und Alteritäten" hinterfragte. Elzer, der bereits mit einer gender-orientierten Publikation zu Walt Whitman hervorgetreten ist, entfaltete in seinem engagierten Vortrag ein Panorama von Männlichkeitsentwürfen, das auch den Kontext sozialgeschichtlicher Entwicklungen in den USA sowie die Rassismuskritik der Romanvorlage von Edna Ferber berücksichtigte.

Doris Mosbachs semiotisch orientierter Beitrag mit dem Titel "Was macht Bilder politisch inkorrekt?" setzte den etwas langatmigen Schlusspunkt zur zweiten Sektion. Die Linguistin und Politikwissenschaftlerin legte den Schwerpunkt auf die Bilderwelt der ethnischen Minoritäten in der amerikanischen Populärkultur. Das untersuchte Spektrum der Strategien von Political Correctness reichte von der Repräsentation nordamerikanischer indianischer Bevölkerung bis hin zu in Deutschland lebenden ImmigrantInnen.

Einen Link zwischen Repräsentationstheorie und (künstlerischer) Praxis bildete ein beeindruckendes, an feministischer Handlungsmacht orientiertes Screening der KünstlerInnengruppe FO/Go Lab aus Wien, das zusammen mit der Duisburger Dokumentarfilmerin Hatice Ayten durchgeführt wurde.

Kulturelle Identitäten in Japan und Deutschland standen im Mittelpunkt der dritten Sektion, die sich vor allem mit künstlerischen Selbstverortungsmustern, Aneignungsverfahren und Zuweisungsstrukturen beschäftigte und einen beherzten Gang in die Laboratorien innerer wie äußerer ‚Fremde' im Bewusstsein postmoderner Produktivitätsdiskurse wagte.

Die bekannte Düsseldorfer Kulturwissenschaftlerin und Japanologin Michiko Mae, Mitherausgeberin der Reihe "Geschlecht und Gesellschaft", thematisierte unter der Überschrift "Innere Fremde und äußere Fremde" das komplexe Verhältnis von Ethnizität und Geschlecht von in Japan lebenden koreanischen AutorInnen, so genannter zainichi, die Korea selbst kaum je kennen gelernt haben und in ihren literarischen Werken die Konstruiertheit von nationaler wie geschlechtlicher Identität offenbar werden lassen. Auch die vielfältigen Streitpunkte der AutorInnen untereinander wurden beleuchtet, insofern es sich um Momente der Inklusion und Exklusion in Bezug auf die japanische Gesellschaft handelte.

Zwei öffentlich breit debattierte Essays standen im Mittelpunkt der im Trierer Graduiertenkolleg arbeitenden Literaturwissenschaftlerin Ruth Kersting: Zum einen "Anschwellender Bocksgesang" von Botho Strauß, zum anderen Yoko Tawadas "Verwandlungen". Dabei stellte Kersting vor allem die gesellschaftliche Funktion von Literatur und Kunstproduktion heraus und problematisierte anschaulich die Prozesse der Exotisierung und des Primitivismus. Künstlerische Selbststilisierungen - einmal als Seher am Beispiel von Strauß, einmal als Schamanin im Falle Tawadas - konnten von Kersting pointiert als ein wichtiges Moment der Selbstverortung der AutorInnen in einem Spannungsfeld kultureller, poetischer und geschlechtlicher Fremdheitsmuster beschrieben werden.

Ethnologische und kunstwissenschaftliche Einblicke in die ‚Dokumentarismen des Anderen' boten die Beiträge der vierten Konferenzeinheit, die den Strategien des Fort-, Fest- und Gegenschreibens von Sex-/Gender-Machtasymmetrien im kulturellen Austauschhorizont Nordfrankreichs, Benins sowie des Amazonasgebiets nachgingen.

Den Anfang machte hier Angelika Bartl, Wiener Kunsthistorikerin und DOC-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Sie stellte am Beispiel von "Hot Water - L´Eau Chaude" von Alejandra Riera feministische Überlegungen zur zeitgenössischen Dokumentarvideokunst an. Unter dem Titel "Dokumentarismen der Anderen/Andere Dokumentarismen" führte die Referentin in die Schwierigkeiten einer postkolonial und geschlechtlich sensiblen Analyse von Distanz und Differenz ein. Bestechend arbeitete sich heraus, wie im Falle des medial repräsentierten Protests von Frauen in einem nordfranzösischen Minengebiet aus der ‚Verortung' der Akteurinnen im Kunstraum dennoch ein emphatisches Miteinander erwachsen kann.

In eine kulturwissenschaftlich fundierte Betrachtung ethnologischer Feldforschung im Amazonastiefland führten die anregenden und kompetent vorgetragenen Überlegungen, die Iris Edenheiser über das "Ludisch-Komische im Umgang mit dem Anderen" anstellte. Edenheiser, Ethnologin im Trierer Graduiertenkolleg, demonstrierte - unter Verweis auf Malinowski - eine ‚Blickumkehr' zwischen Eigenem und Anderem und knüpfte hierbei an das Mimikry-Konzept Roger Caillois vom Ende der 1950er Jahre an. Fremdwahrnehmung wird im Rahmen der Umkehrung, aus Sicht der Indigenen, zur amüsanten Projektion von kulturellen und sexuellen Stereotypen auf die EthnologInnen "im Feld".

Kerstin Schankweiler, Kunsthistorikerin im Trierer Kolleg, beschäftigte sich in ihrem lebendig gestalteten Vortrag über "Männliche Künstlerlegenden" mit dem Werk des in Cotonou/Benin lebenden Installationskünstler Georges Adéagbo, dessen Exponate auf der dokumenta 2002 vielfach als bedeutsame Leistungen westafrikanischer Kunst gewürdigt wurden. Schankweiler gelang es überzeugend, die Problematik des Biographismus euroamerikanischer Kunstkritik zu beleuchten und die Verwobenheit von Ethnizität und Geschlecht am Beispiel "männlicher" Künstleridentität und "westlicher" Ausstellungspraxis vorzuführen.

Die abschließende Sektion mit dem Titel "VerORTungen" lenkte schließlich den Blick auf die interkulturellen literarischen Interferenzen im osteuropäischen Raum, speziell in der Bukowina und im Banat. Den ReferentInnen gelang es, differenziert die Spielräume der Artikulation und Selbstverortung von ‚Weiblichem', ‚Jüdischem' und ‚Östlichem' im Spannungsfeld von fiktionaler und nonfiktionaler Selbst- und Fremdkolonisierung abzumessen.

Iulia Patrut, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin im Trierer Graduiertenkolleg, legte ihren Schwerpunkt auf die "Ebenen der literarischen Auseinandersetzung mit Eigenem und Anderem" am Beispiel eines im Zweiten Weltkrieg in rumänischer Sprache entstandenen Gedichts von Paul Celan. Das Netz der Verweise reicht hier, so die Referentin, von den ethnisch und geschlechtlich codierten Beziehungsmustern der literarischen Gestalten, den Gewaltmomenten der künstlerisch repräsentierten Deportation bis hin zu einer Kritik fundamentaler Machtasymmetrien westlicher Kunst- und Kulturtradition repräsentiert in der Gestalt des "Raphael".

George Gutu, Präsident der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens, der Goethe-Gesellschaft in Rumänien und derzeit Lehrstuhlinhaber der Elias-Canetti-Professur an der Viandrina-Universität in Frankfurt an der Oder referierte in dem abschließenden Vortrag über die "Entmythisierung der Bukowina" am Beispiel des Schaffens Paul Celans. Gutu, der auch Gründungsmitglied des Instituts für Deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Universität München ist, gelang es vortrefflich, sowohl die biographische wie auch die sozialgeschichtliche Dimension des Schreibens in der Bukowina aufzuarbeiten und in den Kontext künstlerischer Produktivität in pluriethnischen Regionen einzuordnen.

Die von der Marburger Literaturwissenschaftlerin Andrea Geier und dem Trierer Ethnologen Christoph Antweiler ausgezeichnet vorbereitete und moderierte Abschlussdiskussion bot unter Verweis auf die Problematik einer (ungewollten) Reproduktion eurozentrischer Wissensordnungen im Wissenschafts- und Kulturbetrieb ausreichenden Raum für eine profunde Selbstkritik der GastprofessorInnen und NachwuchswissenschaftlerInnen.
Die Struktur des Konferenzprogramms mit seinen fünf klar gegliederten und theoretisch wohldurchdachten Sektionen konnte den hohen Erwartungen der Zuhörenden gerecht werden. Die selbstreflexive Auseinandersetzung der WissenschaftlerInnen mit den eigenen Repräsentationsformen im Kontext der Postulate von Postcolonial und Gender Theory sowie die wechselseitigen Einflussnahmen zwischen Forschendem und Erforschtem wurden - mitunter heiß diskutiert, aber zumeist produktiv - in den Forschungs- und Diskussionszusammenhang einbezogen.
Ein Sammelband, der die einzelnen Beiträge und Diskussionszusammenhänge dokumentiert, wird im Herbst dieses Jahres im Böhlau-Verlag erscheinen.